KRITIK: ONCE UPON A TIME … IN HOLLYWOOD

© Sony Pictures
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Autor: Michael Scharsig

ONCE UPON A TIME … IN HOLLYWOOD zelebriert Macho-Gehabe, hat Überlängen, stilisiert Frauen zu wortkargen Dummchen, verfolgt keine klare Linie und kopiert nur alte Tarantino Filme. Das alles habe ich über den 9. Streich von Quentin Tarantino gelesen und es wird Zeit, mit diesem Schwachsinn aufzuräumen. Bevor ich damit starte: Als ich im Kino saß, verließen mehrere Zuschauer nach 1,5 Stunden den Saal. Der Rest applaudierte nach Filmende. Allein das rückt den Streifen schon in ein besonderes Licht.

Ein kurzer Überblick: TV- und Seriendarsteller Rick Dalton (großartig: Leonardo DiCaprio) und sein Stunt-Double Cliff Booth (noch großartiger: Brad Pitt) versuchen sich im Hollywood des Jahres 1969 durchzuschlagen und Fuß in der Filmmetropole LA zu fassen. Leider sind die beiden Freunde von der alten Schule und wirken im Aufstieg der Hippie-Ära wie nostalgische Fremdkörper. Während Newcomer wie Schauspielerin Sharon Tate (Liebe: Margot Robbie) im Trend der Zeit liegen, bahnt sich hinter Joints, Haarmatten und Rüschenhemden eine Gefahr an, mit der niemand rechnet.

 

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Beantworten wir ein paar Fragen – VORSICHT, SPOILER!

Stranger Things für Hippies – Versucht ONCE UPON A TIME … IN HOLLYWOOD über Nostalgie zu punkten? Jein. Komplette Straßenblocks aus LA wurden umdekoriert. Tonnenweise Details atmen den Retro-Geist der Ära. Man könnte den Film 10mal gucken, man würde immer etwas Neues entdecken. Vor allem dann, wenn wir Brad Pitt im Sportwagen durch die Metropole folgen (das passiert häufig), wirkt das mehr wie eine Rundfahrt im Freizeitpark. An blinkenden Billboards und Kinotafeln vorbei, an tanzenden Hippies und leuchtenden Diners. Willkommen im Jurassic Park des Summer of `69. In Sachen Schauwert ist das technisch brillant. Ein Ausflug, den Tarantino sich hier und dort gönnt. Eine Huldigung, in der Kameramann Robert Richardson (Inglourious Basterds) seine stärksten Momente liefert. Aber es ist keineswegs der Kern des Films und seiner Geschichte.

Machos und verkorkstes Frauenbild: Wie schlimm ist es wirklich? Rick Dalton, seine Filme, sein Umfeld, sein Stunt-Double – das alles erinnert schon sehr stark an Steinzeit-Stereotypen. Vergessen sollten wir aber nicht, um welche Epoche es hier geht. Daran gemessen lasse ich hier schlichtweg keine Kritik zu. Charles Manson und Roman Polanski degradiert Tarantino zu Statisten, während deren Weggefährtinnen im Fokus stehen und die Höhepunkte des Films liefern. Dalton muss sich von einer 8-Jährigen über Schauspielerei belehren lassen (süß und brillant: Julia Butters!). Die soziopathischen Manson-Girls auf der Spahn Ranch sorgen für Suspense per Excellence (Margaret Qualley: ein Highlight!). Herr Gott, selbst Booths Hündin Brandy steigt zum Star auf.

 

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…aber ist das noch Tarantino? „Kill“ Bill. „Death“ Proof. „Basterds“… Bislang wusste man, was man bekommen würde. Und nun ist ein Film, der die Manson-Morde aufgreift, mehr Dialog-Märchen als Blutorgie? Jep. Aber keine Panik! Das Finale wird ultrahart und „tarantinoesk“. Außerdem ist der Film gespickt mit gewohnt genialen Einzelsequenzen (Mike Oh, Zoe Bell, Timothy Olyphant, u.a.) und 12 Darstellern aus anderen Tarantino Werken. Selbst seinen bekannten Fuß-Fetisch lebt der Kultregisseur gleich mehrfach aus. Allein der Filmtitel erinnert ja an Tarantinos Lieblingsfilm ONCE UPON A TIME IN THE WEST, dessen Titel schon dem INGLOURIOUS BASTERDS Slogan „Once Upon a Time … in Nazi-occupied France“ gehuldigt wurde. Generell findet man zig ulkige Anspielungen auf die Basterds (Flammenwerfer, Antonio Margareti, Lorenza Izzo, etc.).

Sharon Tate – Hätte Margot Robbie mehr Text bekommen sollen? Nein. Denn das macht diese Figur so gut. Spiegel & Co. schrieben Tate „wirkt hier wie ein lachendes Nichts“ oder wie ein „laufendes Model ohne Charakter“. Zu kurz gedacht. Das Gegenteil ist der Fall. Wenige Worte bedeuten nicht wenig Charakter. Die Szene, in der sich Tate ins Kino setzt und wie ein kleines Mädchen darüber freut, dass die Zuschauer ihre Rolle im Film mögen, ist einer der schönsten Momente des Films. Robbie vermittelt extrem viel Sympathie, Bodenständigkeit und Unschuld. Nur durch Gestiken und Mimik – und das ist ungeheuer wichtig für den letzten Akt. Man spürt Tarantinos Bewunderung für Tate und am Ende hat es mich sogar berührt, wie seine Oldschool-Helden ihr und ihrem Kind „das Leben retten“ und damit die Weltgeschichte in etwas schönere Wege leiten. (Basterds lassen grüßen)

 

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Und die Manson-Kommune? Wenn jemand Deinem Schwarm an die Wäsche will, lässt Du kein gutes Haar an ihm. Tarantino „beschützt“ nicht nur Miss Tate. Nein, er stellt die Manson-Sippe als dauerbekiffte, trottelige Idioten dar, die nach widersprüchlichen Prinzipien handeln. Da hätten wir z.B. die zweitbeste, unglaublich spannungsintensive Sequenz des Filmes, die Spahn Ranch. Während dort im wahren Leben ein Stuntman umgebracht wurde, poliert Stuntman Booth hier einem Kommunenmitglied vor versammelter Mannschaft die Fresse. Der Name Manson fällt nicht ein einziges Mal. Auch die geplanten Morde enden eher peinlich, sodass die Zuschauer die Sippe auslachen, anstatt sie zu fürchten. Deren Anführer widmet er nicht mal eine Erwähnung und maximal 2 Filmminuten. Die Mansons als Witzfiguren. Chapeau!

„Dirty Fucking Hippies“ – Mag Tarantino kein Peace & Love? Keine Ahnung, fragt ihn selbst. Dass Dalton und Booth sie nicht sonderlich mögen macht Sinn, da sie eben alte Schule sind und im Umbruch in die 70er nicht ganz mithalten. Sharon Tate hingegen lebt nach diesen Regeln und wird von Tarantino wie gesagt „beschützt“. Die Manson-Morde wurden damals auch als „Ende des friedlichen Hippie-Traums“ bezeichnet. ONCE UPON A TIME … IN HOLLYWOOD bewahrt die Welt aber vor diesem Wandel. Ungewohnt für Tarantino ist, dass seine Hauptfiguren zwar fehlerhaft, aber im Grunde von Beginn an sympathisch, freundlich und clever definiert sind. Trotz der kurzen Härte offenbart sich sein 9. Film als herzlichster, wärmster Film mit einem völlig unironischen Happy End in dem sich Menschen der alten und der neuen Schule näherkommen. Wenn das nicht Peace and Love ist, was dann?

 

Once Upon a Time in Hollywood - Bewertung

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