KRITIK: JOKER

© Warner Bros. Entertainment
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Autor: Michael Scharsig

Wir schreiben das Jahr 2019. Donald Trump erhält den Friedensnobelpreis. Hertha BSC spielt mit frischem Offensivfußball um die Meisterschaft. DC veröffentlicht einen Oscar-Anwärter, der mir persönlich auch noch extrem gut gefällt. Zugegeben: Nur der letzte Punkt entspricht der Wahrheit. Das bedeutet aber nicht, dass ich das jemals für möglich gehalten hätte.

Zum Inhalt: Arthur Fleck ist nicht zu beneiden. Während er selbst mit einer schweren mentalen Krankheit durchs Leben wandert und sich um seine schwache Mutter kümmert, scheitert er auch beruflich sowohl als Clown wie auch als Stand-Up Comedian. Leider geschieht dies zu einer Zeit, in der die Gesellschaft verroht, Orte wie seine Heimatstadt Gotham City verwahrlosen und für Außenseiter weder Mitgefühl noch Empathie existieren. Nach diversen Rückschlägen, Angriffen und Enttäuschungen beginnt Arthurs Seele langsam, aber sicher zu zerbrechen.

 

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Don’t Believe The Hype. Believe the Hype!

Was konnten wir schon Monate vorher nicht alles über „Joker“ lesen… Ist die gezeigte Gewalt zumutbar? Warum verließen Menschen die Kinos? Ist die Geschichte psychisch belastend? Ist Todd Phillips der geeignete Mann für den Film? Und so weiter, und so weiter. Aus sarkastischer Sicht könnte man behaupten, das Drehbuch fängt schon bei Marketing und PR an. Und ja, es ist kurios. Denn auf der einen Seite kann ich behaupten, dass der gesamte Hype und 90% der Schlagzeilen völliger Schwachsinn sind. Auf der anderen Seite muss ich gestehen, dass es schon lange keinen Film mehr gab, bei dem ich erstmal wieder runterkommen musste.

Eines lässt sich spoilerfrei behaupten: „Joker“ hat mit Comic-Adaptionen und lustigen Antischurken so viel gemeinsam wie das DC-Franchise mit einem durchdachten Konzept. Hier gibt es keine Action, hier gibt es auch keine ironischen Einzeiler oder CGI-Orgasmen. Wenn man dem Film etwas vorwerfen möchte, dann vielleicht, dass das Drehbuch im Kern etwas dünn geraten ist. Warum? Im Prinzip schaut man einem armen Schwein dabei zu, wie er nach und nach seelisch zerfällt und zu langsam zu einem anarchischen Psychopathen mutiert. Viel mehr nicht. Ist das schlecht? Nicht, wenn die Umsetzung so intensiv wirkt. Dieser Film würde 1:1 ohne den Namen „Joker“ funktionieren – abgesehen vom Erfolg an den Kinokassen, vielleicht.

 

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Der Phoenix und die Asche

Joaquin Phoenix erreicht mit seiner One-Man-Show jedenfalls einen weiteren Höhepunkt seiner Karriere. Ich will nicht von DER Rolle sprechen, da er in meinen Augen ein Jahrhundert-Talent ist und schon mehrfach denkwürdige Auftritte abgeliefert hat. Doch er spielt beängstigend und saugt einen geradezu in die traurige, hoffnungsfreie Welt seiner verlorenen Figur. Dass das allein den Film schon abhebt vom 2019er Kinodurchschnitt (und darüber hinaus) mag nicht jeder so empfinden. Für mich reicht das aus, weil es in Perfektion dargestellt wird. Beinahe dokumentarisch. Ohne Happy End, ohne große Ansagen und Monologe. Es passiert unaufhaltsam und macht nicht mal Spaß.

Wenn DC schon ein, zwei Seitenhiebe von mir kassiert, dann muss ich auch die Eier besitzen, positive Aspekte ebenso zu benennen. Bei all dem Geld, das zwischen „Justice League“, „Suicide Squad“ und Co so verpulvert wurde, ist es praktisch ein Wunder, dass dieser Film entstand. Irgendjemand in den Büros der Entscheider ist entweder unglaublich mutig oder hat einen verdammt guten Motivator. „Joker“ ist ein geglücktes Experiment, das Resultat von 100%igem Vertrauen in Todd Phillips und seinem Hauptdarsteller. Hier muss klar gewesen sein, dass nicht jeder Fan happy mit dem Film werden würde und doch habe ich das Gefühl, dass den Machern seitens der Studios völlig freie Hand gelassen wurde. Das ist erstaunlich und vorbildlich. Ja, es ist das erste Mal, dass ich DC in einer bestimmten Sache gegenüber Marvel als Vorreiter betrachte („The Dark Knight“ in Ehren).

 

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Technisch und handwerklich ist „Joker“ meiner Meinung nach allerdings weder kontrovers noch diskutabel. Hier wird praktisch alles richtig gemacht. „Hangover“-Kameramann Lawrence Sher weicht Phoenix nicht von der Seite, teilweise fährt er ihm praktisch ins Gesicht. Auch in seinem Umfeld, kleinen Apartments, engen Gassen und U-Bahnhöfen wirkt alles wie ein kleines Gefängnis und so erzielt das exakt die Wirkung, die diese Geschichte braucht. Das Drehbuch hat Phillips übrigens zusammen mit Scott Silver verfasst. Von meiner bescheidenen Filmfreak-Sicht von außen aus betrachtet, behaupte ich, dass man seinen Einfluss deutlich erkennt. Immerhin kennt der Mann sich bestens mit One-Man-Shows in Sozialdramen (dazu zähle ich „Joker“, wenn ich mich festlegen müsste) aus und ist für die Stories zu „The Fighter“ und „8 Mile“ ebenso verantwortlich, wie als Produzent für den zu Unrecht unterbewerteten „Stronger“ mit Jake Gyllenhaal.

Die dazugehörige Vertonung von Hildur Guðnadóttir passt wie die Faust in die Magengrube und erinnert an dichte, düstere Filme wie Dan Gilroy’s „Nightcrawler“ oder David Fincher’s „Seven“. Was mir persönlich neben der dunklen Atmosphäre besonders gut gefällt ist das Storytelling über einzelne Songs, die in den Film geworfen werden. Sei es „Smile“ von Jimmy Durante oder „That’s Life“ von Frank Sinatra. Wenn alte Klassiker von Clowns und Glück singen ist das im Kontext verdammt nochmal tragischer, ja fast gruseliger, als jede blutige Messerattacke. Keiner der Beteiligten verheimlicht, dass alte Scorsese Werke Vorbild waren und wenn Phoenix im Spiegel-Interview von „Clockwork Orange“ spricht, weiß man wohin die Reise geht.

 

Joker - Bewertung

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