Autor: Tom Burgas
Zum Filminhalt: 1975. Zwei Meilen westlich von London bezieht Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston) auf der Suche nach Anonymität sein neues Appartement, nur um bald feststellen zu müssen, dass seine Mitbewohner gar nicht daran denken, ihn in Ruhe zu lassen. So ergibt er sich schließlich in sein Schicksal, freundet sich mit den neuen Nachbarn an und wird dadurch zunehmend in das komplexe soziale Gefüge hineingezogen. Während er so seine Probleme damit hat, seinen Platz inmitten dieser Gesellschaft zu finden, bekommen Laings gute Manieren und sein Verstand ebenso deutliche Risse wie das Gebäude selbst.
Mit „High-Rise“ wurde endlich mal wieder ein Film angekündigt, bei dem mir das erste Lebenszeichen reichte, um mich gefangen zu nehmen, sodass ich mich danach auch nicht weiter spoilern lassen wollte. Der erste Trailer hatte eine Optik die so sehr auf mich zugeschnitten war, dass selbst mein schauspielerisches Hassobjekt Michelle Rodriguez hätte die Hauptrolle spielen können und ich hätte ihn unbedingt gucken wollen, ok vielleicht doch nicht, aber ihr wisst was ich meine.
Das dystopische Drama spielt in den 70ern, somit schon Grund genug für meine Must-see Liste. Jedoch wird meine Vorfreude noch mehr gefüttert, da „High Rise“ auf der gleichnamigen Romanvorlage von J.G. Ballard aus dem Jahre 1975 basiert. Ich habe den Roman ehrlicherweise nie gelesen, allerdings gefiel mir alles was mir über die Vorlage zu Ohren kam. Apropos Ohren. Für den Soundtrack wurde Clint Mansell verpflichtet, den ich spätestens seit seiner Arbeit zu „Requiem for a Dream“ vergöttere. Portishead hilft auch noch mit, ergo her mit „High-Rise“!!
Zwar sind aus schauspielerischer Sicht genug bekannte Gesichter dabei, aber außer Luke Evans war da niemand, den ich jetzt besonders in meinen persönlichen Fokus rücke. Tom Hiddleston ist super, allerdings wusste ich noch nicht so recht ob er als Hauptdarsteller einen solchen Film stemmen könnte.
Laut Presseheft ließ der Film auf Festivals niemanden kalt, dass man ihn entweder hassen oder lieben wird. Ganz soweit würde ich nicht gehen, jedoch bleibt die 3,8 Millionen $ Produktion haften und man denkt über ihn nach. Daher sollte man den britischen Thriller mit Sicherheit öfter sehen, um seine Meinung wirklich festigen zu können.
Man muss keinen Doktortitel haben um zu begreifen, dass es hier um Kritik an der Klassengesellschaft geht und der Auseinandersetzung mit dem menschlichen Individuum nach dem Wegfall von moralischer Grenzen. Diese werden in „High-Rise“ durch die Erschaffung eines eigenen Mikrokosmosses – der es eben „erlaubt“ nach eigenen Regeln zu leben – eingerissen. Somit liegt es auch auf der Hand, dass das Ganze eskalieren MUSS. Auch kommt es natürlich nicht von ungefähr her, dass der Film in den 70ern angesiedelt ist, denn selten wurde der Unmut gegenüber dem Staat und seiner gewalten Form gegeben so intensiv, offentsichtlich geäussert wie zu dieser Zeit.
Hier haben wir also mit dem Schausplatz des Hochhauses, einen utopischen goldenen Käfig der alles beinhaltet was die Menschen im Grunde brauchen, egal ob eigenen Supermarkt oder Sporthalle. Käfig deshalb, da die Welt außerhalb kaum Erwähnung findet bzw. gezeigt wird. Um sich nicht in den Wirrungen des von Anfang an beklemmend anfühlenden Skyscraper zu verirren, wird uns mit Tom Hiddleston eine Figur zur Seite gestellt für die die Location – wie für uns – neu ist. So werden uns Nachbarn vorgestellt, wir werden auf Partys eingeladen und nach und nach haben wir uns mit den reichen und schönen im oberen Stockwerk samt exzentrischen Partys, sowie der „niederen Mittelschicht“ bekannt gemacht.
Die besondere Stärke liegt dabei ganz klar in der Auslegung der Hauptfigur, denn diese ist kein Moralapostel, die als weißer Ritter fungiert, sondern sich aus beiden Welten das nimmt was ihr gefällt, nur eben nicht zu einem völligen Drecksack mutiert. So sollte sich der Hauptprotagonist vielmehr darüber sorgen machen ob er sich überhaupt eine Meinung bildet und damit eine Seite wählt oder sich in völliger Gleichgültigkeit verliert.
Dass das ganze Kostrukt des Hauses von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist kündigt sich schon früh unheilsam an, sei es damit, dass nur in den unteren Etagen der Strom ausfällt oder der feine Pöbel Kinder wegen der Lautstärke nicht mehr in den Pool lässt. Natürlich kann man wirklich jede Szene metaphorisch für die Versinnbildlichung der jeweiligen Lager sehen, immer mehr fallen die Masken der Moral und der Gesellschaft die wir als „normal“ ansehen würden (oder zumindest die Meisten von uns).
Wie bereits erwähnt kenne ich weder die Romanvorlage, noch habe ich einen der beiden zuvor gedrehten Romanverfilmungen gesehen. Daher dachte ich auch, dass es mit der Durchführung eines Mordes oder ähnlichem vorbei ist und dadurch vielleicht am Ende eine Art Karthasis durchlebt wird, sei es bei der Hauptfigur oder der Neuorientierung der ganzen Gesellschaft in diesem Haus. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu sehr spoilern, aber soweit sind sie schon ungefähr beim ersten Plotpoint und danach geht es erst richtig los. So muss dann auch jeder Zuschauer für sich entscheiden, ob dies zuviel ist oder eben nicht. Ich für meinen Teil empfand die Steigerung als äusserst mutig. Der Mensch ansich wird nur noch auf seine Triebe reduziert: Völlerei, Rammlerei und zu guter letzt Machtverhältnisse stehen auf dem Programm. Eine neue Lebensweise wurde geschaffen die immer mehr verrodet bis nur noch ein Skelett menschlicher Geistesgegenwart vorhanden ist und nichts mehr in Frage gestellt wird, sozusagen „Caligula“ in kleinem Maßstab – der Skandalfilm von 1979 und nicht die tatsächlichen Vorkommnisse.
Letzten Endes muss man sich allerdings darauf einlassen, denn wie schon erwähnt wird hier kein Gegenpol geschaffen, um dem ganzen was entgegensetzen zu können. Zumal Tom Hiddleston zum Ende hin eher zur Randfigur mutiert, anstelle zu einer handelnden Figur, was ich persönlich aber wunderbar erfrischend fand. Für eine Ausfahrt aus dem Exzesse-Strudel ist es schnell zu spät. Trotz Ausschweifungen aller Arten liegt zu jederzeit eine seelische Trostlosigkeit über dem ganzen, die nichtmal ansatzweise zu suggerieren probiert, dass einem vielleicht noch ein Happy End geboten wird. Aus diesem Grund erinnert der Streifen nicht nur einmal an Stanley Kubrick´s Meisterwerk „Uhrwerk Orange“ von 1971.
Tom Hiddleston liefert eine beachtliche Performance ab, so dass dieser aus schauspielerischer Sicht bei mir an ansehen gewonnen hat. Dennoch muss der Brite den Film nicht alleine tragen, da er tatkräftig von seinen Schauspielkollegen unterstützt wird. Hierbei ragt ein wahnsinnig guter Luke Evans heraus und stiehlt Hiddelston ganz klar die Show. Ansonsten bietet das Science-Fiction/Drama genug schauspielerisches Talent, welches solch ein Film auch braucht, nur dass eben der Grundgedanke des Films sowie die Optik eindeutig im Vordergrund steht.
Letztere ist dann auch ganz klar das Aushängeschild von „High-Rise“, egal in welcher Form, ob in den Exzessen der Oberschicht oder den Ausbrüchen der Gewalt, so dass Einflüsse der 70er Jahre wie aus dem damals erschienen Kultfilm „Soylent Green“ (1973) sind unübersehbar. Regisseur Ben Wheatley zieht mit der dargebotenen Schonungslosigkeit – sei es grafischer Natur oder die der Offenlegung der menschlichen Psyche – oftmals einen Vergleich zu thematisch ähnlich gelagerten Filmen wie „Fight Club“ (1999) von David Fincher – die Flucht aus den Ketten des Alltags und die Erschaffung einer neuen Welt nach eigenen Moralvorstellungen.
Aus meiner Sicht kann der Film letztendlich solchen Vergleichen nicht ganz standhalten, denn dafür bietet er im Kern zu wenig Eigenständiges und lässt die Story auf Kosten der Optik öfter mal vor sich dahinplätschern. Dennoch hat „High-Rise“ für mich immernoch genug Qualitäten um ihn mehrfach sichten zu wollen, allein um sein eigenes Sittenbild in Frage zu stellen und darüber nachzudenken. Somit kann ich für die relativ kleine Produktion eine absolute Empfehlung aussprechen.
Ab dem 18. November 2016 auf Blu-ray™, DVD und VOD erhältlich!
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DVD-Cover & Bilder © dcm (Vertrieb Universum Film)