KRITIK: AFTER MIDNIGHT: DIE LIEBE IST EIN MONSTER

© Meteor Film GmbH
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Autor: Dominik Starck

Wäre man in Versuchung, die erzählerische Kraft von AFTER MIDNIGHT sarkastisch überspitzt mit einem anderen zeitgenössischen Film zu vergleichen, dann böte sich etwa folgende Formulierung an: was haben AFTER MIDNIGHT und RAMBO: LAST BLOOD gemeinsam? Beide gehen zu Herzen! Wo es dem unabhängig produzierten Horror-Geheimtipp im eigentlichen Sinne der Worte gelingt wählte der fünfte Einsatz von John Rambo einen buchstäblicheren Ansatz. Doch lasst uns über das wahre Monster des Lebens sprechen: Liebe!

Inhalt: Das perfekt bequeme Kleinstadtleben von Hank (Jeremy Gardner) wird erschüttert, als seine große Liebe Abby (Brea Grant) eines Morgens verschwunden ist. Ihre kryptische Nachricht offeriert keine Erklärung. Das abgelegene alte Haus ist ohne die gemeinsamen Abende mit Musik und Rotwein bedrückend leer. Anstelle Abbys taucht nachts jedoch etwas anderes auf, was Hank den Schlaf raubt; eine mysteriöse Kreatur mit scharfen Klauen versucht ins Haus zu gelangen. Mit Flinte im Anschlag verteidigt Hank Nacht für Nacht sein Haus und seine geistige Gesundheit, an der bald auch seine Freunde (u.a. Justin Benson) zweifeln. Ist das mutmaßliche Monster so real wie Abby, die nach Monaten so unvermittelt zurückkehrt wie sie verschwand?

 

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ROMANTISCHE ANTI-ROMANZE ÜBER DAS MONSTER LIEBE

Dieser Film ist wirklich etwas anderes. Passend dazu, dass jeder Charakter im Film Hanks Monster für etwas anderes als ein Monster hält, war dies auch der ursprüngliche Filmtitel; „Something Else“. Im Rahmen seiner Festival-Auswertung 2019 wurde der Titel schließlich auf AFTER MIDNIGHT geändert, was sich wiederum auf eine famose Schlüsselszene im Film bezieht. 14 Minuten ohne Schnitt zeigen die beiden zentralen Charaktere in einer Bandbreite an Gefühlen, die man sonst nur in erstklassigem Theater geboten bekommt. Jeremy Gardner (Hauptdarsteller, Autor und Co-Regisseur) sowie die ihm in nichts nachstehende Brea Grant feuern hier aus allen Rohren, sind so natürlich, dass es weh tut. So sehr es sich um einen astreinen Genrefilm handelt, so sehr bricht AFTER MIDNIGHT mit allen Konventionen und wenn man ihn mit anderen Beziehungsfilmen vergleichen möchte, die den Horror mit unter die Decke lassen, dann bietet sich vor allem SPRING (2014) an, der ähnlich normabweichend daherkam.

Es erscheint nur passend, dass Gardner in SPRING eine Nebenrolle als bester Freund des Protagonisten innehat, den Gardner auf einen Selbstfindungstrip schickt, welcher ihn schließlich zu einer mysteriösen Frau und einem Monster nach Europa führt. SPRING war die zweite Spielfilmregiearbeit des Duos Justin Benson und Aaron Moorhead, die zusammen mit David Lawson Jr. nun AFTER MIDNIGHT produzierten. Benson, der auch die Drehbücher für seine Filme mit Moorhead schrieb, tritt diesmal den Gegenbesuch in einer markanten Nebenrolle als Sheriff Shane vor der Kamera von AFTER MIDNIGHT an und beweist, dass er als Darsteller nicht nur in eigenen Filmen besteht (siehe THE ENDLESS).

 

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Für Gardner stellt Hank die dritte Hauptrolle in seinem dritten Spielfilm dar. Die Reise begann in dem grandiosen Low-Budget-Horror-Road-Movie BEN & MICKEY VS. THE DEAD (eigentlich THE BATTERY) und führte über die im „Found Footage“-Stil gedrehte Satire TEX MONTANA WILL SURVIVE!, welche legal auf YouTube gesehen werden kann, zu AFTER MIDNIGHT. Erneut meistert er die Doppelbelastung mit Bravour. Dem Charisma des Vollbartträgers kann man sich nur schwer entziehen. Doch wenn Grant als Abby dazu stößt ergibt sich eine unnachahmliche Mischung, wie man sie vielleicht seit Kevin Smith‘ abseitiger RomCom CHASING AMY nicht mehr gesehen hat (außer, dass Gardner den jungen Ben Affleck nicht nur in Sachen Gesichtsbehaarung schlägt).

Zuviel sollte man über AFTER MIDNIGHT am besten nicht wissen. Selbst Cover und Trailer wecken eine gewisse Erwartung, einen Monsterfilm zu sehen. Obwohl der Film sich als ebensolcher nicht verstecken braucht kann man seine Qualität nicht danach bemessen wie oft oder lange man ein Monster zu sehen bekommt. Schon bei DER WEISSE HAI war bekanntlich weniger mehr. Und wie lange sah man doch gleich Pinhead im ersten HELLRAISER? Kritisch kann man indes den Umstand betrachten, dass der Film wenig inhaltliche Innovation bietet, weder in Bezug auf die geschilderte Beziehung, noch in Hinblick auf die Monster-Nebenhandlung. Anders als im Inhalt besticht der unabhängig produzierte Film aber in der Form, die spielerisch zwischen Mainstream und Arthouse zu wandeln scheint.

 

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In den USA startete der Film von Gardner und seinem Langzeitkollaborateur Christian Stella, der einmal mehr auch die Kamera übernahm, am Valentinstag 2020. Passender hatte es nicht sein können. Es handelt sich um einen perfekten Film für ein Date oder einfach einen Pärchen-Abend auf dem (anders als im Film) sicheren heimischen Sofa. Nicht umsonst siedelt AFTER MIDNIGHT weniger nah am klassischen „Creature Feature“, als eher bei den BEFORE-Filmen Richard Linklaters, an dessen BEFORE MIDNIGHT sicher nicht umsonst namentlich erinnert wird. Es ist ein roh-gefühlvoller Film über Gefühle und Reifeprozesse als Erwachsener mit viel Alkohol sowie einem Spritzer Monster. Mehr von letzterem wäre sicher der Wunsch gerade von Genrefans. Aber dann würde AFTER MIDNIGHT machen, was alle anderen Genrefilme machen. Und er kann es besser oder in jedem Fall anders. Am Ende der Nacht ist es das, was ihn besonders macht.

 

After Midnight

 


 

Zur Blu-Ray: Das limitierte Mediabook von Meteor Film verliert das störende FSK-Logo durch Entfernen der Papp-Banderole und macht sich dank dem wunderschönen Original-Poster-Motiv hübsch im Regal. Auf der Blu-ray-Disc mit dem Film finden sich der deutsche und englische Trailer zu AFTER MIDNIGHT sowie eine Trailershow des Anbieters. Herzstück der Sonderausstattung ist aber der wie immer sehr informative Audiokommentar der beiden Filmemacher Gardner und Stella. Dieses Bonusmaterial findet sich auch auf der beiliegenden DVD zum Film sowie natürlich auf den regulären Veröffentlichungen auf Einzel-Blu-ray und –DVD. Diese verfügen zwar auch über ein schönes Cover-Motiv, doch das Creature-Design über einem Herzen auf schwarzem Grund beim Mediabook ist kaum zu schlagen.

Nicht nur wegen dem schöneren Cover greifen Fans außergewöhnlicher Indiefilme hoffentlich eher zum (nicht nummerierten aber limitierten) Mediabook. Ähnlich wie bei dem FuturePak von THE ENDLESS gibt es auch hier ein Booklet mit einem Essay von Thorsten Hanisch über den Film. Das Booklet ist gelungen und neben Hanischs Text mit zahlreichen schönen Fotos und Pressezitaten aufgemotzt, sodass es schließlich auf einen Umfang von 24 Seiten kommt. Eine zusätzliche Bonus-DVD fährt zudem exklusives Bonusmaterial auf; „Hinter den Kulissen“ führt rd. 12 Minuten lang mit starker Musik durch B-Roll, welches von Christian Stellas Frau gefilmt wurde. Die Outtakes sind mit 10 Minuten ebenfalls lang geraten. Außerdem gibt es auch hier nochmal die Trailer sowie eine schicke Bildergalerie. Das ist nicht viel an Volumen, macht aber Laune und hilft darüber hinwegzukommen, dass der Film bereits vorbei ist. Bedauerlicherweise sind alle Extras in Englisch ohne deutsche Untertitel, doch das mindert den Mehrwert der Edition kaum. Kaufempfehlung!

 

Seit dem 29. Mai 2020 auf DVD, Blu-ray und VOD erhältlich!

DVD-Cover & Bilder © Meteor Film GmbH.