KRITIK: SCHNEEFLÖCKCHEN

© Capelight Pictures
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Autor: Michael Scharsig

Deutschland kann kein Genre? Meiner Meinung nach ist „Genre“ so ziemlich der einzige Begriff, der positiv in einem Atemzug mit deutscher Filmlandschaft genannt wird. Action? Können wir nicht so recht. Drama? Meistens Krieg. Komödien? Immer nur Schweiger. Dann kommen Filme wie „Stereo“, „Der Bunker“ oder „Die dunkle Seite des Mondes“ und verpassen deutschem Kino ein Pflaster, weil: endlich mal „Genre“. Die Wahrheit ist, Deutschland hat bärenstarke Drehbuchautoren und Regisseure und irgendwie ist alles, was ein wenig von der Massennorm abweicht bei uns sofort „Genre“. „Schneeflöckchen“ dagegen ist tatsächlich eine Genre-Perle, vielleicht die Überraschung des Jahres.

Zum Inhalt: Jetzt wird’s heftig: Berlin in naher Zukunft. Es herrscht Anarchie und das Recht des Stärkeren, was die Menschen aber irgendwie nicht daran hindert bestimmten Alltagsroutinen nachzugehen. Mitten in dieser Welt schlachten sich die zwei Freunde Tan und Javid durch die Straßen, um den nationalistischen Mörder ihrer Verwandten zu finden. Auf ihrer Suche stolpern sie über ein Drehbuch, dass auf mysteriöse Weise alles im Detail beschreibt, was die beiden wirklich erleben. Und es verrät ihnen, dass ein junges Mädchen psychopathische Auftragskiller auf die beiden angesetzt hat.

 

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So bescheuert, wie diese Story auch klingen mag, sie geht noch weiter. Denn im Verlauf des Filmes werden wir zwei polnischen Kannibalenbrüdern in Schweins- und Hahnsmasken begegnen, einem Engel, einem elektroschockierenden Superhelden, sowie Androiden, blinden Killern und letztendlich einem alten Mann, der von sich behauptet Gott zu sein – und tatsächlich mehr weiß, als er könnte. „Schneeflöckchen“ bringt den Zuschauer immer mal zur Annahme gewisse amerikanische Vorbilder zu imitieren, doch schon zwei Sekunden später schreibt sich das Drehbuch neu. Das ist spannend, skurril und die Zusammenhänge aller Figuren überraschenderweise sinnvoll.

Auf dem Fantasy Filmfest wurde dem Crowdfunding-Werk von Adolfo J. Kolmerer die für deutsche Beiträge seltene Ehre zu Teil, als einer der ersten Filme zu starten. Völlig zurecht. Tatsächlich hat sich diese völlig wirre Story von Arend Remmers bereits einen internationalen Namen gemacht, auch wortwörtlich („Snowflake“). Remmers verewigt sich übrigens auch selbst in der Geschichte, wird allerdings vom großartigen Alexander Schubert verkörpert. Als Drehbuch-schreibender Zahnarzt. Was sonst?

Vergleiche mit Quentin Tarantino, frühen Guy Ritchies oder Spike Jonze muss sich „Schneeflöckchen“ gefallen lassen. Gar keine Frage. Nur ist es dieses Mal eben so, dass es sich nicht vor diesen Namen verstecken muss. Ganz im Stil der genannten Filmemacher, schränkt sich der Film nicht auf komödiantischer Ebene ein. Im Gegenteil. Es wird hier und da dreckig und blutig, für Kinder ist dieses Schneeflöckchen sicherlich nichts. In einigen Momenten schlägt Komerer melancholische, ernste Töne an. Er verliert dabei die satirische Aufgabe seiner Meta-Komödie aber zu keiner Zeit aus den Augen.

 

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Über eher mittelgute Effekte, zwei, drei Überlängen und durchschnittliche Tonabmischung sehe ich bei soviel Innovation und Spielfreude gerne hinweg. Bei der Auswahl seiner Darsteller sind dem Produzententeam dagegen Glücksgriffe am Fließband gelungen. Erkan Acar und Reza Brojerdi harmonieren gewaltig, geben Tan und Javid viel Tiefe, Sympathien und Pointen. Dieses Duo macht einfach nur Spaß und passt hervorragend in diese etwas andere Geschichte. Xenia Georgia Assenza und David Masterson übernehmen den vermeintlich ernsteren Teil der Story, was sie keineswegs zu Spaßverderbern werden lässt. Auch dieses Duo passt.  In weiteren Nebenrollen gefielen mir Gedeon Burkhardt, Selam Tadese und Martin Goeres.

Die verschiedenen Episoden besitzen unterschiedliche Stärken, so darf ich zu meinen persönlichen Favoriten ganz klar den ikonischen Pulp-Fiction’schen Einstieg „Der Dönerladen Teil II“, sowie das „Das Schwein und das Huhn“ zählen. Kleinere Problemchen tauchen dann auf, wenn der fiktive Drehbuchautor eine Logiklücke entdeckt, damit aber erst recht für eben diese sorgt. Moralische Fragen werden letztendlich unbeantwortet gelassen oder in heilige Hände gelegt, was mich teils daran hat glauben lassen, ich schaue ein komödiantisches Sequel zu „Nur Gott kann mich richten“.

 

Schneeflöckchen - Bewertung

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