KRITIK: JETZT AUF VIDEO – ALS DAS KINO NACH HAUSE KAM

© WUZI Books / Ezra Tsegaye
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Autor: Khalil Boeller

Vorab ein kleiner Disclaimer – ein Schelm ist, wer hier denkt, dass versucht wird, Eigenwerbung für ein Buch zu machen, welches u.a. von Florian erdacht, konzipiert und mit viel Liebe umgesetzt wurde. Hat das Buch nicht wirklich nötig, da es zum einen ausverkauft ist und zum anderen war ich auch nicht an dem Buch beteiligt, was für mich als alter Hase, der mitten in der Videothekenzeit aufgewachsen ist und der auch als Aushilfe in einer Videothek gearbeitet hat, schon fast eine Kränkung ist, weswegen ich Florian auch angedroht habe, das Buch besonders kritisch zu bewerten.

Der Büchermarkt in Deutschland ist ja in den letzten Jahren dank der Möglichkeit des Selbstverlages etc. deutlich gewachsen, was Filmbücher betrifft, dennoch handelt es sich bei vielen Büchern entweder um Hochglanzwerke für den Kaffeetisch, die zwar nett anzuschauen sind, aber oft wenig an Substanz bieten oder um Werke aus den Händen von Fans, deren Qualität oft sehr schwankend ist – man merkt beispielsweise oft, dass ein professionelles Lektorat und Layout Fehlanzeige sind, ganz zu schweigen von inhaltlichen Patzern. Und von Machwerken, die sich den Inhalt oft bei Wikipedia und Co. Zusammengebastelt haben, will man lieber nicht anfangen…

 

© WUZI Books
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Umso überraschender ist, wie hoch professionell das Buch wirkt, den Stallgeruch einer Fanarbeit kann man jedenfalls kaum wahrnehmen. Mit 400 Seiten auf hochwertigem Papier gedruckt, Überformat und weit über 1000 farbigen Abbildungen bietet es wirklich viel für das Auge, was auch an der sehr schönen Auswahl von Werbematerialien, VHS-Covern oder alten Anzeigen liegt. Hier merkt man definitiv dem Buch schon an, wie viel Arbeit und Liebe in dem Buch stecken muss, dies wird auch noch einmal bei der Quellenangabe unterstrichen, bei dem einem sprichwörtlich der Kopf raucht und man nur erahnen kann, wie lange es gedauert hat, bis die Bildmaterialien zusammengetragen waren, vom Kampf um die Rechte, diese auch verwerten zu dürfen, einmal ganz zu schweigen. Hier erfüllt „Jetzt auf Video“ schon einmal vollkommen den Anspruch, den man an sogenannte Coffee-Table Books haben kann, Eyecandy, der zum Blättern einlädt, vollkommen.

 

© WUZI Books
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Doch die spannende Frage ist natürlich auch, wie es mit den Texten ausschaut, ob diese einem Sachbuch gerecht werden, informativ und auch unterhaltend sind. Und schon jetzt kann man diese Frage mit einem „Jein“ beantworten, und zwar auf absolut positive Art und Weise. Die beiden Autoren versuchen erst gar nicht, einen auf „Sachbuch“ zu machen, sondern gehen angenehm locker damit um, dass sie eine Zeit einfangen wollten, die für sie absolut prägend war – und dies ist ihnen wirklich mehr als nur gelungen. Als Kind der Zeit fühlt man sich tatsächlich zurückversetzt in eine Zeit, in der es ein Höhepunkt war, am Wochenende in die Videothek zu fahren, sich einen Stapel Filme mit Freunden auszuleihen und dann eine Filmnacht zu machen. In der heutigen Zeit wie Streamingdienste kann man sich das vermutlich kaum mehr vorstellen. Unterstrichen wird das Ganze auch dadurch, dass die Autoren ihre persönlichen Erfahrungen, sei es Jörg und wie das Geschäft seines Vaters den Videothekenboom quasi von der Pike an miterlebt und gestaltet hat oder auch Florians Erzählungen und Erfahrungen, wie prägend für ihn manche Videotheken im Raum München waren, aus der Ich-Perspektive erzählen. Ein cleverer Kniff, der das „ich kenne das“ Gefühl noch einmal unterstreicht oder geneigten Lesern, die Videotheken gar nicht oder nur zu DVD-Zeiten kennen, einen Einblick in eine Zeit gewähren, die für viele Leute mehr als nur prägend war. Nicht ohne Grund haben wohl einige Filmschaffende auch ihre Wurzeln in Videotheken.

 

© WUZI Books
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Doch man tut dem Buch unrecht, wenn man es nur auf Fanfiktion reduziert, dafür zeichnet das Buch die Entstehung über die Hochphase von Videotheken bis hin zum Niedergang aufgrund von Privatfernsehen, billigen Kaufkassetten sowie dem Aufkommen von neuen Medien zu genau nach. Dies wird zusätzlich durch diverse Interviews von Leuten unterstrichen, die damals in der Branche aktiv waren, seien es Videothekare oder auch Menschen, die bei Filmverleihern und Studios gearbeitet haben und einen Einblick in eine Branche und Ära gewähren, die erahnen lässt, was für eine wilde Zeit das gewesen sein muss. Man kann ebenfalls nur erahnen, was die Jungs wohl für eine Rennerei damit hatten, Interviewpartner zu finden, die auch bereit waren, über die Zeit zu sprechen, was angesichts so manchem Ereignis damals sicher keine einfache Geschichte war.

Auch findet man in dem Buch einen Ausflug in die Zensurgeschichte, welche man kaum von der Videothekenzeit loskoppeln kann, der Gastautor Christoph Kellerbach schafft es da wirklich, einem einen Überblick über damalige Mechanismen und absurde Auswüchse zu verschaffen, die einen heute noch den Kopf schütteln lassen. Dazu kommt noch ein Überblick über wichtige „Videothekenstars“ der damaligen Zeit, Steven Seagal, Chuck Norris, Stallone oder auch ein Michael Dudikoff, hier hat der Gastautor Kevin Zindler ein schönes Potpourri zusammengestellt, Chapeau!

 

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Besonders erwähnenswert sei ebenfalls eine nette Zusammenstellung aus Filmen aus der VHS-Ära, die es bis heute noch nicht auf DVD oder BD geschafft haben, hier lacht einen der ein oder andere „Klassiker“ an, an dem man sich wohlig erinnert und bei dem man fast schon ein Tränchen vergießen muss, dass es diesen noch nicht auf einem neuen Medium zum Kaufen gibt.

Und ob jetzt die Anfänge vom Heimkino mit Super 8, Ausflüge in die Jäger- und Sammlerszene, die Bedeutung von Erotikfilmen für den Heimkinomarkt, ein Special über gemalte Videoplakate, die heute noch einen ganz besonderen Platz im Herzen haben (so hat der Autor dieser Zeilen schon vor Jahren eine VPS-Videothekenleuchte mit austauschbaren Motiven in seinem Wohnzimmer hängen) – es ist wirklich beeindruckend, welche Themen auf den 400 Seiten ihren Platz gefunden haben.

 

© WUZI Books
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So gesehen haben die Autoren das Kunststück geschafft, dass es nicht nur ein schön anzuschauendes Coffee-Table-Book oder Fanfiktion ist, sondern mit dem Anteil an informativem Material und einer gehörigen Prise Nostalgie on top eine Melange abzuliefern, die zumindest stand heute ein Referenzwerk sein dürfte, wenn es um die deutsche Videothekenzeit geht. Man kann nur hoffen, dass sich die Jungs erbarmen und eine 2. Auflage auf den Markt bringen – die vielleicht auch um den ein oder anderen Aspekt erweitert wird.

So wäre ein Blick über den Tellerrand, was Videotheken betrifft, schön gewesen – wenn man schon eine rollende Videothek ein Kapitel gewährt, wäre es schön gewesen, wenn die ein oder andere Ausnahmevideothek noch genannt gewesen wäre. Hier sei einmal die beinahe schon berühmt berüchtigte Videothek VIDEODROM in Berlin genannt, die das Mekka für jeden Horrorfilmfan Dank Mail-Order Versand ein Begriff sein könnte, und ebenso die FILMGALERIE 451 in Stuttgart, die den größten Bestand an originalsprachigen Filmen in Deutschland gehabt haben dürften, zudem noch jede Menge wirklich kaum bekannter Indie-Perlen, B-Filmen und Arthausfilmen und über die Grenzen von Stuttgart auch durch ihren Postverleih bekannt wurden – und beide Institutionen haben die Videothekenzeit sogar überlebt, wenn auch auf unterschiedlicher Art.

 

© WUZI Books
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Auch eine genauere Betrachtung des Thema „Kopien“ wäre noch einmal spannend gewesen, denn Kopien haben spätestens ab dann, als Leerkassetten bezahlbar waren, auch noch einmal eine Rolle gespielt, was man auch an Produkten wie Doppelvideorekorder oder Equipment, welches ausschließlich dafür vorgesehen war, die damaligen Kopierschütze aufzuheben, gemerkt haben müsste oder das leidige Thema Bootlegs, welche man aus Ländern wie den Niederlande bestellen konnte und meistens ungeschnittene Fassungen von Filmen waren, die man in Deutschland nicht legal bekommen konnte. Hier kann man sich allerdings auch vorstellen, dass dies ganz bewusst nicht so sehr thematisiert wurde, da man es sich nicht mit Lizenz- und Rechteinhaber verscherzen wollte, was für mich vollkommen legitim ist. Zudem, und das sei nochmal betont, sind diese beiden „Kritikpunkte“ wirklich meckern auf allerhöchstem Niveau und auch eher als Vorschlag für eine Erweiterung einer potenziellen Neuauflage betrachte. Es ändert absolut nichts am Referenzcharakter des Buches.

 

Jetzt auf Video - Bewertung

 

Leider ist JETZT AUF VIDEO mittlerweile komplett vergriffen. Wer Interesse an einer möglichen Neuauflage hat, folgt am besten der WUZI– und/oder Jetzt auf Video-Facebookseite, um diesbezüglich frühzeitig informiert zu sein. Natürlich erhöht sich mit zunehmender Nachfrage die Wahrscheinlichkeit einer Zweitauflage!