Autor: Tobias Spyrou
Wie in letzter Zeit ja schon mehr als einmal erlebt, zwitschert gefühlt das gesamte Internet momentan mal wieder über die neueste Netflix-Produktion BIRD BOX. In der ersten Woche wurde der Film angeblich schon von über 45 Mio. Netflix-Usern angesehen, was somit nicht nur die beste Startwoche aller Zeiten einer Netflix-Produktion darstellt, sondern auch ca. 1/3 aller aktuell bestehenden Netflix-Accounts ausmacht. Kein Wunder also, dass man gegenwärtig gefühlt an jeder Ecke von dem Film sieht und/oder hört. Zusätzlich scheint das Gros der Meinungen auch eher positiv auszufallen. Und fast das gesamte Internet kann doch nicht trügen, oder?
Doch, liebe Freunde und Kupferstecher, das kann es. Offensichtlich. Zumindest sieht das unser Redakteur Tobi so. Der hat sich den Film nämlich in den letzten Tagen ebenfalls zu Gemüte geführt und kann weder den Hype, noch das Lob für diesen bestenfalls mittelmäßigen Film nachvollziehen:
!!! → Vorsicht Spoiler ← !!! Zuallererst muss ich gestehen, dass ich die Buchvorlage nicht gelesen habe. Ich kann nur den Film für sich allein bewerten und genau das tue ich im Folgenden auch.
Und zugegeben, die ersten 10 – 15 Minuten fangen tatsächlich recht vielversprechend an. Ein mysteriöses Wesen bringt alle Menschen, die seinem Anblick ausgesetzt sind dazu, sich in regelrechten Massen-Suiziden grausam selbst umzubringen. Eine Handvoll Überlebende bringen sich in einem nahen Haus in Sicherheit und müssen von nun an darauf achten, niemals ohne Augenbinde draußen ihre Augen zu öffnen, da ihnen sonst das gleiche Schicksal blüht. Parallel zu diesem Handlungsstrang gibt es einen Blick in die Zukunft, in der die Hauptfigur Malorie (zugegebenermaßen gut gespielt von Sandra Bullock) mit zwei kleinen Kindern, in einem winzigen Boot einen Fluss entlang schippert, in der Hoffnung auf Rettung und Zuflucht. Soweit so gut.
Leider wirken sowohl die einzelnen Charaktere, als auch Dialoge und Interaktionen größtenteils extrem konstruiert. Bis auf die Hauptfigur bekommt keine der vorkommenden Personen eine großartige Tiefe, geschweige denn eine wirkliche Hintergrundgeschichte. Ein oder zwei klischeehafte Charaktereigenschaften reichen nun einmal nicht aus, um mit den Figuren mitzufiebern oder emotional berührt zu sein, wenn diese dann durch wenig mehr als die eigene Blödheit verenden. Bei einigen ist die tiefste Charakterzeichnung, im wahrsten Sinne des Wortes, dann eben doch nur eine peinliche Sex-Szene im Wäschekeller. Selbst bekanntere und charismatische Schauspieler wie Sarah Paulson oder John Malkovich können das nicht ändern, dazu reichen ihre wenigen Minuten an Screentime leider nicht aus. Dabei hätte es sicherlich viel Spaß gemacht einen so ungleichen Haufen untereinander interagieren zu sehen und die psychologischen Hintergründe etwas weiter zu beleuchten, genau diese Chance nutzt der Film jedoch nicht.
So spannend die Grundprämisse von BIRD BOX auch anmutet, so sehr bekommt man an etlichen Stellen den Eindruck, dass viele der Ideen, die anfangs erst einmal interessant und nachvollziehbar scheinen, nicht zu Ende gedacht wurden. Nehmen wir z.B. das Konzept des „Monsters“. Dieses scheint unsichtbar zu sein und wird dem Zuschauer über die Dauer des Films auch nicht gezeigt. Ein nachvollziehbares Prinzip, denn oft ist es sicherlich auch bedrohlicher etwas nicht genau zu sehen oder zu kennen. Außerdem passt es dazu, dass die Figuren des Films ebenfalls nicht in der Lage sind dieses Monster anzusehen, ohne davon in irgendeiner Weise kontrolliert zu werden und sich selbst umzubringen.
Die Regeln und Umstände dessen ändern sich allerdings im Laufe des Films mehrmals vollkommen wahllos und lassen eine gewisse Konsistenz und Logik innerhalb der Welt des Films vermissen. Da braucht die eine Figur z.B. nicht einmal eine Sekunde aus dem Fenster zu schauen, schon hat sie sich aus selbigem herausgestürzt. Ein anderer schafft es aber draußen mehrere Minuten ohne Augenbinde herumzulaufen und selbst unter Kontrolle des Monsters noch jemanden zu erschießen, bevor er sich dann doch selbst richtet? Die Vögel in der namensgebenden BIRD BOX werden als Alarmsystem genutzt, da sie offensichtlich die Präsenz des Monsters spüren können. Definitiv ein interessantes Mittel um Spannung zu erzeugen. Doch im Kontext des Films gibt es keine einzige Szene, in der die Figuren es nicht selbst jedes Mal deutlich bemerken, wenn sich das Monster in der Nähe befindet. Sei es durch Stimmen, starken Wind oder einfach nur die eben deutlich spürbare Präsenz. Da das Monster auch scheinbar niemandem etwas anhaben kann, der es nicht ansieht, bringt es nichts davor wegzulaufen, geschweige denn ein solches Alarmsystem zu besitzen.
Hauptfigur Malorie wird als ein Mensch etabliert, der nicht gut mit anderen kann, keinen Anschluss findet und immer darauf bedacht ist, auf Distanz zu bleiben. Am Ende des Films gibt es dann aber doch ein kitschiges Happy End und sie gesteht sich endlich ein, dass sie zu ihren Gefühlen stehen darf und muss. Blöd nur, dass das absolut nicht überraschend kommt, da Malorie sowieso einer der wenigen Charaktere ist, der durchgängig beweist, dass sie moralisch und ethisch handeln kann, eigentlich zu allen nett und freundlich ist und sich sogar teilweise um andere bemüht.
Auch sonst ist der Film durchzogen von „Ex Machina“-Momenten, die fast ausschließlich so wirken, als brauche man in den über 2 Stunden Laufzeit immer wieder Gründe, die auf der Stelle tretende Story irgendwie voranzubringen. Auch wenn sich diese Kritik bis hierher wie ein purer Hasskommentar liest, so macht der Film doch nicht alles falsch. Handwerklich ist der Film absolut solide gemacht (bis auf zwei blöde CGI-Vögel gegen Ende des Films, WARUM? Bis dahin wirkt nämlich alles effekttechnisch sehr sauber) und hat sogar einige wirklich schön in Szene gesetzte Kulissen und Bilder zu bieten. Die knapp 20 Millionen Dollar Budget wurden also in dieser Hinsicht gut genutzt. Auch eine gewisse Spannung und postapokalyptische Atmosphäre stellt sich hier und da ein, das kann man dem Film nicht absprechen. Trotzdem trägt sich das Alles nicht über die mehr als zweistündige Laufzeit. Dass die meisten der oben angesprochenen, interessanteren Grundideen auch schon mehrfach zumindest ähnlich in anderen Filmen zu finden waren, macht es nicht besser.
Hier könnt ihr bei einem Abschluss eines Netflix-Abonnements „Bird Box“ kucken (Click).
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